Eisenbahninfrastrukturen sind in der Anlagentechnik, Betrieb und in der Wechselwirkung mit Fahrzeugen von je her komplexe Gebilde. Mit Automation, EDV und schliesslich Digitalisierung gesellt(e) sich ein weiterer Komplexitätsgrad hinzu. Bedenkliche Trends sind dabei in der gesamten Wirtschaftswelt zu beobachten, wenn in komplexen Systemen „neues eingebracht oder grundlegend neugestaltet wird“. Einige alternative symptomatische Vorgehensformen (mit pointierten Aussagen ergänzt) sind:
- Viele kleine, „smarte“ Gimmicks (Datenqualität und Durchgängigkeit der Grundlagen folgt später)
- Unüberlegter Parallelbau neben bestehenden Systemen (lieber auf grüner Wiese beginnen, Schnittstellen sind Out of Scope)
- Überstülpen über Altsysteme (Stammdatenpflege sollen „andere“ machen)
- Digitalisieren und Daten sammeln, weil es technisch möglich ist (Fachzweck und Datenqualität wird später angeschaut)
Allen Vorgehensformen ist die Sorge des Projektes vor nicht beherrschbarer Komplexität gemein. Dabei erhöhen sie genau diese weiter. Wird das Projekt ausschliesslich mit IT-Background (agil oder klassisch) geführt, zementiert sich der fachliche Altzustand, in der Regel nur in „neuer“ Hülle. Dies ist einer der wesentlichen Gründe, warum konzeptionell übergreifende, stabil gegründete und doch innovative Werkzeuge in der Infrastrukturerhaltung bis heute so rar sind.
Die SBB hat mit der dualen Software-Entwicklung eine evolutionäre Antwort auf diese Herausforderungen gefunden. Wenige Fachentwickler und zugeordnete IT-Entwickler arbeiten Seite an Seite im „Datenlabor Fahrweg“ der SBB zusammen. Sie plastifizieren mit Prototypen die Zukunft, erproben diese mit wenigen Fachleuten an der Basis oder am Objekt. Erst durch diese „plastische Form“ setzt ein kreativer Prozess von „Mit- und Vorausdenken“ an der Anwenderbasis ein. Nachgelagert wird der Prototyp klassisch in die produktive Systemumgebung überführt, der Quellcode ist Funktionsnachweis und Entwicklungsvorlage für die IT-Abteilung. Klassische Anforderungen werden lediglich noch in der Benutzerführung formuliert.
Zukunft wird so konzeptionell, sicht- und greifbar vorgedacht und an der Basis final gestaltet, das Erfolgskonzept der SBB im Erhaltungswesen der Fahrbahn. Komplexe Forschung findet im gleichen Gefäss statt.
Den konzeptionellen Systemverbund aus verschleissabhängigem Trassenpreissystem, Lastdatenarchivierung und Standardelementen wurde von SBB bereits beschrieben [1]. „swissTAMP“ als letztes Element wird im Beitrag vertieft und beispielhaft vorgestellt. Als Beispiel dient:
- Schienenpflege im Wechselspiel von Diagnostik, Prävention und Umsetzungsrealität Aus dem kurativen Erfordernis und der Beanspruchungssituation können die erwarteten Schienenresthöhen und damit die Zeitscheiben bis zum nächsten Eingriff antizipiert werden. Bearbeitungslängen für generische Maschinentypen und die Berücksichtigung der Schienenprofil-Ist-Situation unterstützen die Wahl von Maschine und Sperrpause.
Für die präventive Pflege fungiert ein Sammelmechanismus der lokal kleinsten Zeit bis zur erforderlichen Schienenbearbeitung. Dabei können getrennt und subsummiert unterschiedliche Bedürfnisse der Pflege inkludiert werden. Es ist am Ende nicht von Belang, ob wegen Riffel, Squat- oder Headcheckprävention, Lärm, Konizität oder berührgeometrischer Pflege im Bogen die Schienenbearbeitung nötig ist
Ausblickend werden derzeitige Aktivitäten des Datenlabors, die in dualer Softwareentwicklung entstehen, vorgestellt:
- Systempilotierung und Integration von Onboard-Monitoring als Regelinspektionsverfahren in Zusammenarbeit mit SOB und DB Systemtechnik
- Erprobung von Verortungsmechanismen und des Ordnungssystems für den Rücklauf und die Archivierung ausgeführter Gleisarbeiten
- Abbildung ortsdifferenzierter der Standards im zulässigen Schienenverschleisses
Zusammenfassung:
Für einen auch in der Zukunft noch bezahlbaren öffentlichen Verkehr stellt das Anlagenmanagement Fahrbahn der SBB die Weichen. Digitalisierung und agiles Vorgehen geben die Chance, komplexe Systemumgebungen aufzubrechen und zukunftsfähig neu zu gestalten. Mit dem „Datenlabor Fahrweg“ und der dualen Softwareentwicklung hat SBB eine passende Antwort auf diese Chance gefunden.
Literatur:
[1] Holzfeind, Nerlich: Weg(e) von der Bahnverwaltung hin zum modernen
Anlagenmanagement“ Tagung, Rad-Schiene-Monitoring, Klosterneuburg 2017